Ich war 1,87
Und ich glaubte fit zu sein.
Ich war 42 Jahre,
Ich brauchte nie nach Luft zu schrein,
Ich lief über eine Stunde,
Ich hatte Zahl und Wort gelernt,
Ich hatte eine kleine Bleibe
Und einen Ofen, der mich wärmt.
Ihr sagtet mir, ich wär noch brauchbar,
Doch ihr bräuchtet etwas Zeit.
Und ihr prüftet meine Softskills
Und ihr gäbt mir dann Bescheidt.
Und dann habt ihr den Platz gefunden
Für alle Kunden, so wie mich,
Nach weitren 20 Warterunden.
Und das Warten lohne sich.
An eurem Tisch, an euren Plätzen,
In einer Runde saßen wir
Und ihr könntet jetzt abschätzen
Welche Maßnahme dran wär‘.
Ich will ‘ne Maßnahme!
Ich will ‘ne Maßnahme!
Ich brauch die Maßnahme!
Nehmt mein Maß!
In einem Tabellarium
Trug man meine Werte ein:
Wie lang mein Rückgrat hält,
Meine Sicht auf die Welt
Und ob mein Blutdruck fällt,
Wenn man mich einbestellt.
Doch meine lauten Lippen,
Die sprachen alles aus.
Ich dachte so unendlich
Und sehnte mich hier raus.
Jetzt zerreißen meine Lippen
Und meine Haut wird spröd und blass.
Die 20 Wunden meiner Seele
Dringen heraus und ich zerplatz.
Und meine Wut auf jede Ordnung
Macht den Kopf so müd‘ und schwer.
Ich bin ein ungeleimtes Stückwerk:
Ihr nahmt mein Maß verkehrt!
Knochen, Haut und Sehnen,
Einst vorgeseh‘n für bis zuletzt,
Sie tropfen langsam auseinander.
Mein Körper ist verletzt!
Und die Enden meiner Seele,
Sie baumeln lose um mich her.
Ich glaub die Maßnahme -
Vermessene Maßnahme -
Die nutzte mir nicht sehr.
Du darfst dieses Projekt gerne finanziell unterstützen: 
 |
 |
 |
 |
Bildnachweis: Ernst Barlach: Aussätziger Bettler. 1917/1918
Ernst Barlach (*1870+1938)
mit "Ihr" ist die Agentur für Arbeit gemeint, die mich partout ins System zwängen wollte, ohne meine Softskills zu kennen