Erzählungen

Krieg

Im Anfang war alles nur Spiel. Wir hatten uns in zwei Gruppen geteilt. Die erste Gruppe sollte in der Gegend ausschwärmen, sich in den Wäldern verstecken, auflauern, kurz, Guerilla spielen, so wie wir es in der Berichterstattung aus dem Kosovo und Tschetschenien im Fernsehen gesehen hatten.

Die zweite Gruppe, hatte den Auftrag, uns Rebellen aufzuspüren, einzusammeln und, wenn ihr das erfolgreich gelungen war, symbolischen zu exekutieren. Dazu standen ihr Zeichen zur Verfügung, rote Blätter, die den Exekutierten über das Herz geheftet werden sollten. Die „Toten“ waren dann frei und konnten sich, quasi als Geister, auf dem Terrain bewegen wie sie wollten. Es war ihnen auch erlaubt zu ihren Kameraden zurückzukehren, um ihnen als Orakel zu dienen, oder sogar versuchen, die Ordnungsmacht auf die Seite der Rebellen zu bringen. Das jedoch sollte uns nie gelingen.

Die erste Gruppe konnte nicht besiegt werden. Sie war ja die Ordnungsmacht, die, wie im realen Leben, stets in der Überzahl war. Sie konnte nur Punkte verlieren, wenn sich ihr Kampf gegen uns zu lange hinauszögerte. Das ging so: Immer wenn wir ein Mitglied dieser Gruppe sahen, konnten wir versuchen, es zu fangen und mit einem Kleeblatt zu markieren. Dann durfte die markierte Person während drei Stunden nicht mehr weiterkämpfen. Sie durfte sich nicht von der Stelle rühren. Wenn sie das doch tat, hatten wir die Macht, ihre Wartefrist beliebig zu verlängern.

Im Anfang fiel es uns leicht, unsere Position zu behaupten. Wir hatten uns als Rückzugsgebiet eine Höhle ausgesucht, versteckt durch Gebüsch und Bäume, von den Spähern der anderen Gruppe nicht zu sehen. Aus diesem Vorteil heraus konnten wir immer, wenn wir einen einzelnen Feind sahen, zur Tat schreiten. Nach kurzer Zeit hatten wir beinahe die Hälfte der Gegner mindestens einmal neutralisiert. Doch nach und nach löste die Spielregel bei einigen von uns Unmut aus. Es würde uns nie gelingen alle zu erwischen, niemals würden wir uns aus unserer Verteidigungsposition befreien können.

Auch gingen die anderen immer gewitzter vor. Sie beschafften sich Jeeps, mit denen sie den Wald durchquerten und einzelne Rebellen vor sich herjagten. Nach zwei Tagen kamen sie mit Wurfnetzen, die es uns nahezu unmöglich machten, ihnen zu entfliehen. Nach vier Tagen hatten sie uns fast besiegt. Ich wurde gefangen. Man sperrte mich mit anderen in einen Jeep und fuhr uns in das Lager der Ordnungshüter. Auf dem Dach des Jeeps standen zwei Männer mit Holzgewehren. Sie hatten sich Ketten aus Tintenpatronen um den Hals gehängt, sodass sie Aussahen, wie echte Soldaten. Dann wurden wir aus dem Jeep gezerrt und auf einem Platz zusammen mit den anderen exekutiert.

Nur dreien von uns war es bisher gelungen, sich so geschickt zu verstecken, dass niemand sie fand.

Im Lager der Ordnungshüter hatte sich in den vier Tagen einiges verändert. Sie hatten eine ausgezeichnete Befehlshierarchie. Alles lief wie am Schnürchen. Sie waren guter Dinge auch die letzten drei noch aufzuspüren. Da ich nun Geist war beschloss ich unbemerkt zu unserer Höhle vorzudringen und die drei zu warnen. Doch blieb ich nicht unbemerkt. Einige Ordnungshüter folgten mir. Als ich die Höhle erreicht hatte überraschten sie mich. Ich sagte, ich sei schon exekutiert, es würde ihnen nichts nützen, mich erneut einzufangen. Doch missachteten sie diese Tatsache. Sie sperrten mich in den Jeep und stürmten dann sie Höhle.

Kurze Zeit später kamen sie zurück und schleppten mich in die Höhle. Dort hatten sie unsere drei letzten Kämpfer aneinander gefesselt. Sie präsentierten mich als Verräter. Dann lösten sie die Fesseln und hießen uns einen Gang entlangzugehen. Sie sagten, wenn es uns gelänge, aus dieser Höhle zu entkommen, wären wir frei.

Uns blieb nichts übrig, als dem Gang zu folgen, denn sie blieben hinter uns mit ihren Wurfnetzen stehen. Der Gang wurde immer niedriger, doch schien er unendlich zu sein. Die Enge verursachte uns einige Probleme. Einer von uns sagte, dass er aufgeben wolle. Er kroch zurück. Wir krochen zu zweit weiter.

Nach einiger Zeit hörten wir Maschinengewehrschüsse und einen Aufschrei. Uns packte die Angst. Es war doch nur ein Spiel. Vielleicht aber war es nur eine Tonband-Aufnahme, die uns Angst einjagen sollte. Für einen kurzen Moment waren wir uns unschlüssig. Dann krochen wir wieder weiter. Umkehren konnten wir ja noch immer. Unter uns war Felsen und Geröll, über uns lehmige Erde. Nach einiger Zeit konnten wir nur noch hintereinander kriechen. Ich kann nicht mehr genau sagen, wie viele Tage wir kriechend und kauernd zubrachten. Uns schwanden jedenfalls die Kräfte. Immer heftiger mussten wir atmen, da die Luft immer stickiger wurde. Am Schluss konnten wir uns nur noch auf dem Bauch liegend Zentimeter für Zentimeter vorwärts robben. Dann brach mein Leidensgenosse zusammen. Er schrie noch einmal kurz auf und blieb dann liegen. Ich konnte nicht an ihm vorbei kriechen. Dazu war der Gang zu schmal. Ich beschloss mich ein wenig auszuruhen, um mich dann nach oben durchzugraben. Wir waren immer leicht bergan gekrochen. Vielleicht war es ja nicht allzu weit bis zur Oberfläche.

Ich begann mein Werk. Ich ließ den toten Körper meines Freundes unter der herunter bröckelnden Erde zurück. Schon nach einer Stunde verspürte ich sogar durch die Lehmfurchen hindurch einen Hauch frischer Luft. Ich grub schneller. Dann löste sich plötzlich ein ganzer Schwall kühler Erde über mir und ich sah direkt auf eine runde Mondscheibe. Dann hörte ich in einiger Entfernung Maschinengewehre. Ich erschrak. Über mir baut sich ein Schatten auf. Ein Mensch mit Stahlhelm schaute auf mich herab. Sein Mund grinste.

„Wer hat dir gesagt, dass du dein Grab verlassen darfst?“ Ein Schuss knallte. Ich begann zu sterben. Erde wurde über mich geschaufelt. Die Luft ging mir aus. Seither liege ich hier begraben - unter einer Welt, die ich mir nicht erklären kann.


Wombo-Schlagworte: Kriegsbegräbnis, Style: Steampunk