Erzählungen

Haushaltsauflöung bei den Schwiegereltern

Ich hatte nur vage geahnt, wie viele Dinge ein Mensch in seinem Leben anhäufen kann. Aber diese Ahnungen waren viel zu vorsichtig. Nein, es handelt sich hier nicht um einen Massie-Haushalt. Es wirkt sehr aufgeräumt und sauber. Jedes kleine Fitzelchen ist sorgfältig verstaut und eingetütet und steht nicht irgendwie so für sich in irgendeinem Schrank. Jedes Ding ist in einem Behältnis. Zu jedem Behältnis gehört ein Untersetzer, ein Häkeldeckchen oder ein Plastikteller und über jedes Behältnis ist sorgfältig eine Plastiktüte gestülpt und mit Gummiband befestigt. Das macht man so, damit nichts einstaubt.

Aber was sich drin verbirgt, sieht man erst nach der Entpackung. Drei Dosen voll mit Beipackzetteln, 17 Porzellan-Enten, unzählige Glasfigürchen, Sammeltassen, alte Brillen, vier Fotoapparate aus verschiedenen Jahrzehnten.

Ich zähle jetzt hier nicht weiter auf. Es genügt, wenn mir davon der Kopf schwirrt. Da muss es dir ja nicht auch so gehen!

Ich gehöre zu der Fraktion, die alles wegschmeißen würde, wobei ich leider der einzige dieser Fraktion bin. Bist du übrigens Briefmarken-Sammler? Was brauchst du? Ich kann dir nahezu alles bieten. Es gibt drei volle Umzugskartons mit Briefmarken. Zwei Karton mit Briefmarken in Alben und einen mit Briefmarken ohne Alben, sodass der zukünftige stolze Besitzer viel sinnstiftende Arbeit gleich mit erwirbt.

Das, was mich interessiert, ist eher weniger vorhanden. Das Bücherangebot ist etwas speziell. Zwei Tüten voll mit Bastei-Lübbe-Schnulzen, die schon vor der Wende in Bad Doberan gedealt wurden. Meine Frau hat darauf ein Häkchen- und Unterschriften-System entdeckt, das uns verrät, welche Doberaner Dame außer meiner Schwiegermama noch in diese mafiöse Schundroman-Dealerei verwickelt war. Na und deshalb haben die Dinge ihren Wert. Es könnte ja sein, das Frau Rosenow oder Heswickers Erna wie aus dem Nichts auftaucht und ihren Arztroman Nr. 37, Jahrgang 1984 zurückhaben will, oder nun doch an Schlüten Sophie weitergeben soll.

Ich zähle schon wieder auf. Nein, es genügt, wenn mir der Kopf schwirrt.

Zwischen all den Rosamunde-Pilcher-artigen Machwerken, den Gartentipps, den Landlüsten Jahrgang 1 bis Ultimo, den Kochrezepten findet sich, und das ist das fatale, dann doch das eine interessante Buch mit sämtlichen Predigten von Pastor Frehse aus Rostock. Und das Buch, das eigentlich ein Geheimversteck ist, darin die Geburtstagskarten, die meine Frau gebastelt hat, beginnend als 5-jährige, endend mit Geburtstagskarte 47. Die letzte muss irgendwie verloren gegangen sein. Oder sie ist versehentlich bei denen der Schwägerin, oder bei denen der ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften Enkeltochter gelandet, oder bei den Geburtstagskarten der Urenkel, oder bei den Geburtstagskarten für Opa, oder bei den Frauentags-Glückwunsch-Basteleien. Oder in der Weihnachtskiste. Wir werden sie finden.

Ich zähle schon wieder auf. Entschuldigung.

Wusstest du, dass es Elektrische Entfussler gibt? Klappbare Reisebügeleisen? Brust-Massage-Geräte? Zwei Meter hohe Flecht-Korb-Blumenvasen? Kinderspielzeug aus Blei? Mit dem durfte immer nur ganz kurz gespielt werden!

Was brauchst du, ich kann dir alles besorgen!

Möchtest du die „zauberhaften Panflöten-Melodien“ lieber auf Kassette, CD oder Schallplatte?

Magst du Pilz-Bestimmungsbücher lieber im Klein- oder Großformat? Wie viele Fernseher fehlen dir noch, ich hätte drei zu bieten! Halt nein, zwei. Einer sendet nur Ostfunk.

Ich habe auch gelernt, dass man nicht mit einem Besen, einem Schrubber, einem Staubsauger pro Wohnung auskommt. Kein Mensch kann das. Denn, wenn im Wohnzimmer ein Krümelchen auf einen der 7 Teppiche fällt, möchte man ja nicht erst bis in die Küche rennen. Nein. Es ist schon wichtig alles immer an Ort und Stelle zu haben. Also 5 Räume, 5 Staubsauger. Allerdings stand im Keller auch noch einer. Weiß nicht, was da gesaugt wurde.

Schön wäre nun ein Riesenstaubsauger, der die vielen kleinen Staubsauger einfach schwuppdiwupp aufsaugt und den ganzen Dreck gleich mit. Schön wäre die ultimative Kiste, in die man alle die vielen kleinen Kisten nach dem Matroschka-Prinzip hineintut. Dann muss man nur noch den ultimativen Riesenstaubsauger und die ultimative Riesenkiste und zum Sperrmüll bringen. Natürlich mit einem ultimativen Platzdeckchen zum Unterlegen und eingehüllt in eine ultimative Riesenplastiktüte mit einem Riesengummiband.

So nun sage an, willst du noch ein Schweizer Taschenmesser haben? Oder brauchst du auch die drei Klappmesser aus ostdeutscher Produktion noch dazu?

Abgesichert mit wie vielen Lupen würdest du dich sorgenfrei auf den Weg durch das Leben machen? Der Schwiegervater hatte eine ganze Zigarrenschachtel voll davon. Eventuell, so meine Vermutung, brauchte er für jedes Briefmarken-Album eine Extra-Lupe. Die Einsortiermechanismen sind ja auch völlig unterschiedlich. Es macht schon einen Unterschied, ob du die Briefmarke seitlich hinter die Folien schiebst, oder von oben. Dann brauchst du entweder die Lupe für seitliche Blicke, oder die für senkrechte. Auch ob es ein Briefmarkenalbum für große Briefmarken ist – dann nimmst du die kleine Lupe – oder für kleine Briefmarken – dann eben die ganz große Lupe mit eingebauter Lampe. Für Spezial-Briefmarken in Spezial-Briefmarken-Alben, das sind die mit den Samtseiten und der Spezial-Folie, die es nur wahren Briefmarkenexperten erlaubt, den Wert dieser Sammlung zu erkennen, da nutzt du zusätzlich die Lupenbrille, bei der die Lupe direkt vor dem rechten Auge sitzt, während du mit dem linken Auge durch das Gleitsichtfenster im Briefmarkenkatalog gegenliest, wie wertvoll deine Marke ist, oder in welcher Entfernung zwischen Sonne und Briefmarke du die Lupe halten musst, damit der ganze Kladderadatsch Feuer fängt und du nie mehr eine Lupe brauchst.

Ich zähle schon wieder auf. Aber du musst jetzt endlich mal sagen, wie viel Platz du noch in deinem Handwerker-Keller hast!

Vielleicht hast du einen großen, schweren Hammer? Den habe ich bisher nicht gefunden. Wenn ich mit dem altem Dachdecker-Hammer vom Schwiegervater den ganzen Klumpatsch klitzeklein hauen will, fliegt immer der Hammerkopf ab, was negative Auswirkungen auf die Verkäuflichkeit der Glasfigürchen hat.

Allmählich habe ich das Gefühl, dass sich Dinge, nachdem man sie sortiert hat, insgeheim vermehren. Vielleicht quillen sie auf, wenn man mal kurz nicht hinsieht, oder sie verbünden sich mit anderen Dingen, bilden Koalitionen und binden immer mehr Mitglieder an sich, die vorher nicht da waren, aber jetzt zwingend zum Sperrmüllbestand gehören wollen. Oder sie ändern ihre Meinung und beschließen plötzlich brauchbar zu sein. Dann steht man ganz schön blöd daneben.

Irgendwann ist die Bude voller Kartons und Müllsäcke und wenn du jetzt versuchen würdest noch mal alles zurück in die Regale und Schränke zu stopfen, würdest du feststellen, dass du zu wenig Regale und Schränke hast.

Eine Tüte Hausmüll zum Wertstoffhof kostet 30 Minuten Lebenszeit und 4 Euro. 7 Tüten in einer Fuhre kosten die gleiche Lebenszeit und dann eben 24 Euro. Du stutzt kurz und denkst: Was? Nicht 28? Nein. Man muss nämlich bei dieser Sache einberechnen, dass der nette Kollege vom Wertstoffhof erstens nicht mehr so gut zählen kann, wenn man schon das fünfte Mal am selben Tag da war, und dass er auch nicht so gut darin ist, kostenlose Elektronik- und kostenlose Papiermüll- von kostenpflichtigen Hausmülltüten zu unterscheiden.

Ich denke, grob geschätzt, dass ich noch ungefähr 14 nachmittägliche Fahrten dieser Art vor mir habe. Dann wäre das Kleinzeug weg. Und dann könnten wir uns endlich um die Möbel kümmern. Und vielleicht nächsten Monat mit dem zweiten Zimmer beginnen.

Regal mit Schachteln